Projekt in Zusammenarbeit mit Inhaftierten der JVA Chemnitz,
5 bestickte Taschentücher, 100 % Baumwolle, 35 x 35 cm hergestellt in der anstaltseigenen Näherei / Stickerei
2006/2007
Dieses Projekt entwickelte sich als eine Zusammenarbeit mit drei Gefangenen des Frauengefängnisses Chemnitz, die in der gefängniseigenen Näherei/ Stickerei arbeiten. Ich war interessiert an der Art der Produkte und den Bedingungen, unter denen sie produziert werden und fand heraus, dass die Stickerei/ Näherei Stofftaschentücher für die Versorgung aller 3102 Gefangenen der sächsischen Justizvollzugsanstalten herstellt. Es entstanden gemeinsame Zeichnungen, die in mehreren Ebenen auf Transparentpapier das aufzeichneten, was von unseren Diskussionen blieb. Die fertigen Zeichnungen wurden in ein Computerprogramm übertragen, das digitale Stickmaschinen steuerte, um Stich für Stich jeden Strich der Zeichnung auf Taschentücher zu übertragen.
Die folgende Beschreibung des Projektes ist dem Buch “Büroklammern biegen” (Hesperus Verlag, 2008) entnommen:
“Ich bin keine Anfängerin, denn ich arbeite seit Jahren als Künstlerin im Knast, genauer gesagt in einer Forensischen Psychiatrie, die anderen strafrechtlichen Grundlagen unterliegt als der Knast, sich aber in vielem nicht unterscheidet. Ich kenne das Drinnen und Draußen und die Vorurteile auf beiden Seiten. Diesmal sitze ich im Besuchertrakt der Justizvollzugsanstalt Chemnitz und beobachte eine junge blonde Frau, die sich irgendwelche Dinge in die Hosentaschen stopft, um sie als Besucherin nach drinnen zu schmuggeln. Auch ich bin Besucherin und mir steht einmal wieder die Frage im Kopf, warum ich mich immer wieder freiwillig in dieses Konfliktfeld begebe.
Ja, ich beschäftige mich mit traditionellen weiblichen Handarbeitstechniken, vor allem dem Sticken und hier in der JVA Chemnitz, dem Frauenknast gibt es eine Stickerei-Näherei, die mich als Arbeitsbereich interessiert. Nicht nur aufgrund der besonderen Bedingungen der Haftarbeit und dem daraus resultierenden Beschäftigungsverständnis, sondern vor allem wegen der Beziehungen der dort arbeitenden Inhaftierten zu ihrer Arbeit und den Arbeitgebern, will ich mich hier einschleusen, um eine Stickerei in Zusammenarbeit mit den inhaftierten Frauen entstehen zu lassen. Es geht um ein Kennenlernen und das, was in Gesprächen und Begegnungen als gemeinsames Drittes entstehen kann. Meinen Blick als Außenseiterin werde ich dabei nicht los, doch vielleicht ist das gerade die Chance. Aber das Gefängnis wartet nicht auf Künstlerinnen, die diese Beziehung zwischen dem Drinnen und Draußen thematisieren und damit vielleicht noch auf die Umstände aufmerksam machen, mit denen das Konstrukt Sicherheit und Ordnung aufrecht erhalten wird. Die Wirklichkeit des Gefängnisses verändert sich immer mehr zu Dienstleistungsunternehmen und so werde ich beim ersten Gespräch in der Stickerei empfangen wie eine zahlende Kundin. „Ja, das ist alles nicht so einfach. Wie stellen sie sich das vor? Wann soll der Auftrag denn fertig sein?“ fragt die Werkstattleiterin in grüner Staatsuniform. Ich begreife, dass sie mich als Auftraggeberin sieht. Einen Auftrag gibt es aber noch gar nicht, sondern nur eine Idee, die ich mit den Frauen der Stickerei zu einem Auftrag werden lassen will. Ich zweifle daran, dass es dazu kommen kann, wenn ich die Mitarbeiterinnen nicht kennen lernen kann. Vielleicht komme ich hier nur über Umwege weiter?
Wie kommt man hinter Gitter, wenn man nicht drinnen sitzt? Ich kontaktiere eine der Psychologinnen des Gefängnisses. Sie bringt mich in Kontakt mit Inhaftierten, die kurz vor der Entlassung stehen. Wieder sitze ich im Warteraum. Diesmal werde ich mit den Inhaftierten zusammen in einen Anhörungsraum eingeschlossen. Als sich die Tür von außen schließt wird mir mulmig, für die Frauen neben mir scheint es Normalität. Dass kurz vor der Entlassung heißen kann, in 8 Monaten eventuell in den offenen Vollzug verlegt zu werden, lerne ich von Katja, die sich die Hände im Schoß reibt und mich fragend anblickt. Wir sitzen uns gegenüber und hinter den Gittern vor dem Fenster fällt die Überwachungskamera ins Auge. Die Inhaftierung ist ein zeitlich begrenzter Ausnahmezustand der Strafe, der von den meisten Gefangenen nur mit einer Fokussierung auf den Moment der Entlassung auszuhalten scheint. „Die Zeit hier drin ist tot, richtig schön tot. Die Zeit hier drin steht still. Alles langsam, alles routiniert. Jeden Tag das Gleiche. Das ist alles so routiniert, so ruhig. Aber wenn man rauskommt, hat man Stress.“, sagt Irene, die auf vorzeitige Entlassung hofft, um nicht bis TE sitzen zu müssen. Ich frage weiter und langsam weicht die beklemmende Atmosphäre auf. „Anspannung und Nervosität ist bei dem der entlassen wird. Bei mir ist es noch nicht soweit. Aber ich habe nächsten Monat meinen ersten Ausgang und ich bin total durch den Wind. Nach so langer Zeit 4 Stunden raus. Ich bin total aufgeregt.“ Vieles kreist im Alltag um den Moment der Entlassung, der, wenn er denn eintritt, ganz anders erlebt wird als erwartet. Katja ist schon zum zweiten mal drin. „Das war 2003, als ich zum ersten Mal entlassen worden bin. Da war ich auch hier. In den letzten 1 ½ Jahren habe ich immer wieder erlebt, wie viele wieder gekommen sind.“ Ein Leben in Zyklen also zwischen Entlassung und Aufnahme? Ich frage, ob es nicht die gleichen sogenannten Hürden und Ängste sind, die uns generell im Leben in Umbruchsituationen begegnen. Irene sagt: „Pläne machen kann man sowieso nicht großartig, weil es meistens dann sowieso verkehrt geht. Viele sagen, ich geh zu Mac Donald als erstes. Das sagen viele hier. Ich geh erst mal aus dem Tor raus. Raus hier und tue mich ins Auto setzen und fahr einfach los…“
Die Tür geht auf und eine Vollzugsbeamtin fragt, ob ich raus möchte. Die erste Stunde ist um und ich bleibe. Die Tür geht wieder zu. Ich hole meine angefangenen Zeichnungen raus. Ich bin neugierig, wie Katja und Irene darauf reagieren. Als ich die unfertigen Zeichnungen Irene zeige und frage wie man weitermachen könnte, sagt sie, sie kann nicht zeichnen, kommentiert aber meine Zeichnung mit ihren Erfahrungen. Zehn Minuten später zeichnen wir wechselseitig an dem Angefangenem weiter. Sie fügt ein Netz ein, da, wo eine Person von drei Figuren getragen wird. „Kann man zwar nicht richtig erkennen, aber ich schreibe es noch mal darüber,“ sagt Irene und redet fast zu sich selbst, während sie das Netz noch mal verfeinert. „Da kommt einiges auf mich zu. Ich muss nur nicht wieder einreißen, was ich mir aufgebaut habe, denn hier kann man nicht mehr, als die Grundmauern aufbauen.“ Katja schaut rüber und vergleicht mit ihren vorsichtigen Linien, die etwas aus dem Fenster wachsen lassen, das ich gerade gezeichnet habe. Die Zeichnungen steigern sich in verschiedenen Ebenen und bekommen wechselnde Handschriften. Eine Form von Kooperation die in multipler Autorenschaft mündet. Wir sind vertieft im Zeichnen. Es wird warm im Raum und fast vergesse ich, wo ich bin. Da geht die Tür wieder auf. Erneute Kontrolle, die mir zu meinem eigenen Erstaunen auch etwas Sicherheit gibt, hier nicht vergessen zu werden. Tür wieder zu. Ich erzähle von meinen Erfahrungen in der Stickerei- Näherei und meinem Vorhaben, die Zeichnungen sticken zu lassen. Die Stickerei- Näherei produziert Häftlingstaschentücher und versorgt damit alle Gefangenen der sächsischen Justizvollzugsanstalten: Normgröße aus Baumwollstoff, 40x40cm.
Als ich Kind war sagte meine Mutter zu mir, wenn du ein Taschentuch in der Hose hast, bist du auf alle Notlagen vorbereitet. Heute benutzen fast 90% der Bevölkerung Papiertaschentücher. Stofftaschentücher sind als Seelentröster und Gemütshelfer aus der Mode gekommen. Außer im Knast, denn hier werden sie zentral gefertigt, geliefert, verteilt und nach Gebrauch wieder zentral gewaschen. Das Stofftaschentuch war schon immer mehr als nur ein Tuch zum Naseputzen. Wenn man sich als Kind das Knie aufschlug, zog die Mutter es hervor, beim ersten Liebeskummer benutzte man es als Knuddeltuch– das Stofftaschentuch bleibt bei einem als allzeit bereiter Retter in der Not, es teilt mit einem eine lange Folge von traurigen Erfahrungen, es gibt einem das Gefühl, auf Situationen vorbereitet zu sein, auf die man vielleicht gar nicht vorbereitet sein kann. Ist die Entlassung auch so eine Situation?
Katja überlegt: „Ich sag immer, ich lass alles auf mich zukommen. Ich muss ja nicht den anderen gerecht werden, aber ich muss mir gerecht werden. Nicht ihren Maßstäben, sondern meinen Maßstäben gerecht werden.“ Die Frage des Vorbereitetseins stellt sich auch in Bezug auf die Entlassung. Kann man Taschentücher für den Tag der Entlassung sticken? Nicht mit Monogrammen oder dem Kürzel des Besitzerin, sondern mit den Zeichnungen, die hier entstehen? Kann man ein normiertes Knast-Taschentuch durch diesen Prozess zu einem persönlichen Gegenstand machen? Die Frauen sind etwas skeptisch aber auch neugierig.
Also gebe ich die fertigen Zeichnungen weiter an die Stickerei. Mein erster Vorschlag, die Taschentücher mit Hand zu sticken wird von der Werkstattleiterin abgelehnt. Es ist eine industrielle Produktion, Änderungen im Programm nicht erwünscht. Für mich wäre spannend gewesen, den Frauen meine Stichtechniken zu zeigen und zu sehen, was sie daraus machen. Stattdessen wird das Sticken von Stickmaschinen übernommen, die mich an riesige Tätowiermaschinen denken lassen. 10 Nadeln in einer Reihe, die von den Gefangenen programmiert, kontrolliert durch den weissen Stoff schlagen. Der Prozess des Stickens als traditionelle Handarbeit wird so in einen industriellen Kontext übertragen. und darin gleichsam hinterfragt. Die Zeichnungen verändern sich ein weiteres mal durch das Programmieren und Umsetzen in Stiche. Stunde um Stunde sitzt Gabriele, um jeden Strich der Zeichnung in einen Befehl für das Stickprogramm zu wandeln. Zeit hat hier drin einen anderen Wert. Es braucht bis zu 5 Stunden ein Taschentuch zu sticken, denn die Maschine muss für jedes Einzelstück neu eingestellt werden. Die Werkstattleiterin ist um beste Qualität bemüht, sagt, dass mein Auftrag an die Grenzen des Möglichen geht. Ich merke, dass ihr mittlerweile an dem Gelingen des Projektes liegt. Irene hat auch mal hier gearbeitet und eine Lehre in der Näherei angefangen, die sie dann wieder abgebrochen hat. Die Tür geht wieder auf. Die Zeit ist um. Wir verabschieden uns. Am Ende unserer Begegnung fragt sie, ob sie später eins der fertig gestickten Taschentücher haben kann.